Die Kuh Laura

UNSERE NEUE WELT-Blog von Bernhard Künzner

Es gibt viele Menschen, die derzeit von einer Neuen Welt reden. Und das ist auch gut so. Ein neuer Ton, eine neue Frequenz ist in diesen Tagen des Umschwungs spürbar. Immer mehr Menschen scheinen zu begreifen, dass ihnen die alte Welt nichts mehr zu geben hat; sie hat sich selbst ausmanövriert, wurde von ihren Machern an die Wand gefahren.

Aber wie soll sie nun aussehen, UNSERE NEUE WELT?

Leider reicht das Vorstellungsvermögen oft nicht weiter als bis zur Ablehnung des Alten. Doch wer immer nur erklärt, was er nicht mehr haben will, hat am Ende gar nichts.
Eva und ich hatten in den letzten Wochen ein Erlebnis, das uns wunderbar aufzeigte, wie UNSERE NEUE WELT aussehen könnte.

Eine Freundin erzählte uns immer wieder mit Begeisterung von der Liebe ihrer Tochter Alina zu den Kühen im nachbarlichen Hof. Vor allem die Kälber, die zu schwach oder zu krank waren, haben es ihr angetan. Von frühester Kindheit an umsorgt sie die Kälbchen, trägt sie nach
Hause, pflegt sie und heilt sie, so gut es eben geht. Das eine oder andere Video, das uns zugespielt wurde, zeigte eine fast unwirkliche Vertrautheit zwischen Alina und den Kälbern.
Ein Kalb, das übermütig läuft und springt wie ein Welpe und sich an der Leine „Gassi“ führen lässt – wann hat man so etwas schon mal gesehen?

Die Kuh Laura war eines von vielen Kälbchen, das mit Alinas Hilfe geboren wurde, doch die Verbindung zwischen den beiden war von Beginn an etwas Besonderes. Sie schienen wie füreinander geschaffen. Die innige Vertrautheit gipfelte in dem Versprechen Alinas, Laura
aus der Enge des Stalles zu befreien und sie eines Tages auf eine Wiese zu führen, wo sie ein Leben in Freiheit führen konnte. Doch der Weg dorthin war steinig. Im Alter von 4 Jahren fing sich Laura eine massive Euterentzündung ein. Für die Bäuerin, der Laura gehörte, war eine
kranke Kuh nicht rentabel, sodass sie beschloss, sie zum Schlachter zu bringen. Doch Alina erinnerte sich an ihr Versprechen und weigerte sich, zu akzeptieren, dass ihre Lieblingskuh nicht wieder gesund werden würde. Eine Stunde vor dem Schlachttermin fand sie Hilfe von
Kerstin, einer jungen Bäuerin, die die Liebesgeschichte von Alina und Laura kannte und bereit war, die Kuh Laura aufzunehmen.
Inzwischen ist Laura fast wieder gesund und kümmert sich quasi als „Tante Laura“ liebevoll um ein Kalb, das in ihrer Gegenwart geboren wurde.

Irgendwann sagte Eva zu Alinas Mutter: „Aus dieser Geschichte sollte man ein Buch machen.“ Und – schneller als gedacht – standen wir auf der Weide vom „Heinrichhof“, um Laura und ihrer Familie einen Besuch abzustatten. Eine ausgewachsene Kuh ist eine beeindruckende
Erscheinung. Doch als ich sah, mit welcher spielerischen Leichtigkeit Alina ihre Kuh behandelte, verlor ich meine Scheu und näherte mich ihr vorsichtig mit ausgestreckter Hand. Eine Minute später saß ich neben ihr und streichelte sie wie einen gut erzogenen Hund.

Eine besondere Freude war es für uns, Kerstin, die Bäuerin des „Heinrichhofs“ kennenzulernen. Aus beruflichen Gründen zog die gelernte Physiotherapeutin von der äußersten nördlichen Ecke Bayerns in die südlichste, wo sie ihren künftigen Mann kennenlernte. Dessen Eltern besaßen einen Hof und so wurde aus Kerstin eine Bäuerin. Mit viel Engagement und gegen alle Widerstände schaffte sie es, den Betrieb von einer konventionellen Milchwirtschaft auf ökologische Mutterkuhhaltung umzustellen, und zwar unter Beachtung aller erdenklicher ethischen und ganzheitlichen Aspekte. Das Fleisch, das sie regional verkauft, war von Anfang an gefragt, so sehr, dass sie die Nachfrage alleine nicht decken kann. Dabei hat Kerstin noch viele Pläne, wie z.B. Führungen für Kinder, die in der sterilen Umgebung einer Stadt aufwachsen. Ihr Motto: „Die Menschen müssen wieder lernen, sich zu spüren, jeder auf seine Weise.“

Die Atmosphäre, die nach einem Besuch beim „Heinrichhof“ in einem zurückbleibt, kann man getrost als tiefen Frieden bezeichnen. Es fällt mir schwer zu ergründen, wem ich diese Stimmung zu verdanken habe; ist es Alinas Liebe zu den Tieren oder die selbstverständliche
Freundlichkeit ihrer Mutter, ist es Kerstins entschlossener Mut oder die friedvolle Weisheit, die die Kuh Laura in sich trägt… Wahrscheinlich ist es alles zusammen. Ja, alles zusammen gab mir einen Einblick in UNSERE NEUE WELT.