Warum wir krank werden

(von Bernhard Künzner)

Bestimmt habt ihr euch auch schon mal Gedanken darüber gemacht, warum man krank wird. Darüber gibt es ja die unterschiedlichsten Ansichten…
Die einen sagen, man wird krank, weil man sich ungesund ernährt.
Andere sind der Meinung, mangelnde Bewegung sei ein Hauptgrund für Krankheit.
Man hört auch immer wieder, eine genetische Disposition führe zum Kranksein.
Immer häufiger ist die Rede von Erkrankungen, die auf Stress zurückzuführen sind.
Ich behaupte, dass alle diese Begründungen richtig sind. Denn jeder kennt einen Fall, auf den genau diese Ursache zutrifft. Andererseits gibt es auch jede Menge Personen, die sich überhaupt nicht an Gesundheitsratschläge hielten und trotzdem uralt geworden sind. Umgekehrt erkranken auch gesundheitsbewusste Menschen. Könnte man doch eine Ursache finden, die ausnahmslos zu einer Erkrankung führt!
Ein Ansatz, den ich gerne verwende, weil er so herrlich radikal ist, stammt aus Kurs in Wundern. Es heißt hier:
Sobald du die Wertlosigkeit deiner Krankheit erkennst, bist du gesund.
Viele werden jetzt denken: Das ist ja nichts Neues! Es ist bekannt, dass sich manche Menschen eine Krankheit zulegen, weil sie damit „interessant“ werden und Menschen an sich klammern. Und jeder kennt es aus seiner Kindheit, wie schön es sein kann, mit ein bisschen Fieber im Bett zu liegen und sich von der Mama umsorgen zu lassen, anstatt sich in der Schule mit Mathematik herumzuplagen. Aber eine kleine Infektion lässt sich nicht mit einem bösartigen, lebensbedrohlichen Tumor vergleichen. Ich komme später darauf zurück.
Ich werde versuchen, die Entstehung einer Krankheit an einem weniger dramatischen Beispiel zu erklären:
Warum lege ich mir beispielsweise eine Erkältung zu oder Kopfschmerzen, warum entstehen diese alltäglichen Leidensgeschichten, die nicht schlimm genug sind, um sich damit ins Bett zu legen, aber doch schlimm genug, um den Alltag zusätzlich zu erschweren? Wo sollte bei solchen Unpässlichkeiten der Gewinn für mich sein?
Die Antwort auf diese Frage erscheint schwierig, ist es aber nicht. Wir haben uns nur an bestimmte Vorgänge in unserem Körper und Geist gewöhnt, dass wir sie nicht mehr wahrnehmen.
Jeder von uns hat sie, aber nicht alle hören darauf – die Stimme in unserem Kopf! Sie redet im Grunde den ganzen Tag über Unsinn, darum ist es gut, nicht darauf zu hören. Was sie redet, ist unwesentlich, doch die Stimmung, die sie wiederspiegelt, ist sehr wohl von Bedeutung!
Machen wir uns doch einmal die Mühe, laut wiederzugeben, was unsere persönliche Stimme von sich gibt…
… hoffentlich lässt mich mein Chef heute in Ruhe! Wenn ich heute wieder einen Rüffel bekomme, schmeiße ich alles hin! Ich weiß noch genau, wie das beim letzten Mal war… wie schrecklich war doch dieses Gefühl, so gedemütigt, so wehrlos… Aber heute wird schon nichts mehr passieren! Ich weiß gar nicht, wie ich das hier noch länger aushalten soll. Irgendwann steh ich das nicht mehr durch, dann werdet ihr euch alle wundern, wenn ich mit einem Herzinfarkt überm Schreibtisch hänge! Ihr habt ja keine Ahnung, wie tapfer ich bin. Ein anderer hätte in meiner Situation schon längst das Handtuch geworfen!
Kennt ihr solches Gebrabbel? Das kann tagelang so weitergehen, obwohl tatsächlich überhaupt nichts Schlimmes passiert. Die Stimme lässt sich nicht einfach so mundtot machen, bloß weil wir das Geschwätz nicht mehr hören wollen. Aber warum ist es wichtig, dennoch ab und zu hinzuhören?
Ich habe vorhin die Stimmung angesprochen – welche Stimmung liegt dem Beispiel zugrunde?
… Ich habe Angst! Ich kämpfe dagegen an, aber niemand sieht es. Die Angst verschwindet nie, ich ertrage sie nicht mehr. Ich wünschte, es würde wenigstens ein Mensch zur Notiz nehmen, welche übermenschliche Anstrengung ich auf mich nehme!
Der Mensch in diesem Beispiel sieht sein Leben als endlose Prüfung an. Er sagt sich ständig vor, wie in der Schule kann man jederzeit einen schlechten Tag erwischen und eine 6 schreiben. Man kann vor der Klasse ausgefragt und vom Lehrer gedemütigt werden und dann bricht die Welt zusammen!
Dieser Mensch hat unbegründete Ängste, die er nicht hinterfragt. Er hat gelernt, mit diesen Ängsten zurechtzukommen, indem er versucht, alles unter Kontrolle zu halten. Er liebt die Routine, die ihn nicht überrascht. Unvorhersehbare Ereignisse machen ihn krank, weil sie immer das Potenzial einer „ungenügenden“ Bewertung in sich tragen. Dieser Zustand ist zermürbend, weil er weiß, dass er über die Zukunft keine Kontrolle ausüben kann, sosehr er sich auch bemüht. Er sieht aber keinen Ausweg, im Gegenteil: Er ist sogar der Meinung, dass er es besonders schlimm erwischt hat, mit seinem Job, seinem Ehegatten, seinen Eltern usw. Und er glaubt allen Ernstes, dass er wahre Wunderdinge vollbringt, weil er das alles erträgt. Darum lautet die einzig logische Schlussfolgerung: Schaut mich an, was ich ertrage und leiste und lobt mich dafür! Denn dann ist meine Qual wenigstens nicht ganz umsonst.
Warum aber wird dieser Mensch krank?
Weil er als Folge seiner Lebenslüge nicht an eine Erlösung glaubt, sondern nur an den Trost durch andere in Form der Anerkennung und des Lobes. Indem er mit triefender Nase und heißem Kopf in seinem Büro sitzt, wird sein Leid sichtbar und er denkt, die Chancen, endlich den ersehnte Trost zu bekommen, steigen damit erheblich.
Das ist also auch eine Form des Krankheitsgewinns.
Wenn dieser ängstliche Mensch erkennen würde, dass seine Grippe an seiner übertriebenen Angst nicht das Geringste ändert, wäre er auf der Stelle gesund.
Horcht mal in eure Köpfe hinein, wer da was in welcher Stimmung daherredet. Es ist äußerst aufschlussreich!
Wie aber steht es nun mit den wirklich schweren Erkrankungen, solchen, die mit Schmerzen, Siechtum und Todesangst einhergehen? Wer würde sein Leben eintauschen für einen möglichen vorübergehenden Krankheitsgewinn? Was hätte er dabei gewonnen, wenn auf die Krankheit unweigerlich der Tod folgt?
Es sind nicht selten die liebsten, tüchtigsten, tapfersten, mitfühlendsten Menschen, die an Krebs erkranken. Wir empfinden das als große Ungerechtigkeit. Und niemand sollte sich anmaßen, mit dem Finger auf solche Menschen zu zeigen und von deren eigener Schuld sprechen. Das Wort Schuld sollte eigentlich aus unserem Sprachgebrauch entfernt werden. Es gibt keine Schuld, es gibt nur Ursache und Wirkung. Und da wir alle miteinander verbunden sind, trägt jeder einzelne wesentlich dazu bei, dass etwas geschieht oder nicht geschieht.
Stellen wir uns den an Krebs erkrankten Menschen als jemanden vor, der über die Fähigkeit verfügt, grenzenlos zu lieben. Er liebt nicht nur seine Kinder, seinen Ehepartner, seine Verwandten, er liebt alle Menschen, natürlich auch die Tiere und Pflanzen. Er weiß, wie wertvoll jedes Wesen auf dieser Erde ist, und deshalb umsorgt er alle äußerst gewissenhaft. Er weiß genau, was seinen Liebsten gut tut, besser als sonst jemand, und darum fühlt er sich für sie verantwortlich. Aber er muss auch dabei zusehen, wie sich seine geliebten Mitmenschen selbst schaden, wie z.B. seine Kinder sich falsche Freunde suchen, wie der Ehepartner ständig seinen Ärger hochkochen lässt, wie sich gute Freunde gegenseitig weh tun, wie Pflanzen durch Umweltgifte zerstört werden usw. Und da er sie alle unvorstellbar liebt, leidet er unter deren Schmerzen als wären es seine eigenen. Ja, seine Liebe und seine Verbundenheit mit diesen Menschen geht so weit, dass er ihre Leiden auf sich nimmt. Er könnte das alles auch ertragen, aber nur unter der Voraussetzung, dass er sich selbst ebenso lieben würde. Doch das vergisst er. Er vergisst, dass er mindestens ebenso liebenswert ist, wie all die Menschen, dessen Leid er zu mildern sucht.
So. Um diese Argumentationskette weiterzuführen, muss ich den festen Boden der Tatsachen verlassen und mich auf das dünne Eis des Glaubens hinausbewegen. Ich glaube, dass Gott (oder wie auch immer man den geistigen Urheber des Universums nennen mag) die Liebe ist. Nichts würde existieren, wenn es nicht von Liebe beseelt wäre. In meinen Augen ist Liebe der Funke, der in allem, was ist, Leben erzeugt, so wie eine Batterie, die niemals leer wird. Ich glaube weiter, dass an Orten, wo die Liebe erkannt wird, alles gedeiht und sich weiterentwickelt, und dass an Orten, wo die Liebe ignoriert wird, alles vergeht.
Wenn also ein Mensch die Fähigkeit verliert, sich selbst zu lieben, wird er vergehen – er wird krank.
Wir wissen alle, wie wichtig es ist, ab und zu gesagt zu bekommen, dass man geliebt wird. Wir spüren deutlich, wie in diesen Momenten alles Schwere von uns abfällt und die Lust am Leben in uns erwacht. Kein Wunder, denn dadurch erinnern wir uns, dass Liebe in uns steckt und dass sie gelebt werden will. Wenn ich vorhin von Ursache und Wirkung gesprochen habe, so bezieht sich das auf Menschen, die nicht in der Lage sind, einem Menschen Liebe zu schenken, aber auch auf solche, die daran zweifeln, dass die Welt und nicht zuletzt sie selbst von der Liebe Gottes am Leben gehalten wird und nicht von der Sorge um andere. Erstere tragen dazu bei, dass ein Mensch aufhört, sich selbst zu lieben, Letztere haben zu wenig Vertrauen in die göttliche Liebe und Weisheit und stören ungewollt den göttlichen Willen, der alles zum Guten führt.