Alles eine Frage der Schwingung
Ein BEDADEVA-Blog von Bernhard Künzner
Ich habe Menschenmassen immer schon gemieden. Ganz gleich, ob es sich um ein Rockkonzert, ein
Fußballspiel, eine Demonstration oder eine Hochzeitsfeier handelt, ich fühle mich unwohl
dabei. Das ist meine persönliche Empfindung, die niemand teilen muss. Wenn jemand anderes das
Gegenteil behauptet, werde ich ihm das nicht ausreden. Ich möchte hier nur der Frage
nachgehen, was mit dem einzelnen Individuum passieren könnte, wenn es sich unter vielen
anderen Individuen aufhält.
Oft habe ich schon erlebt, dass mich ein Wochenkurs, bei dem ich täglich 8 Stunden mit
denselben Menschen zusammen bin, verändert. Das mag an den Kursinhalten liegen, mit denen ich
mich lange konzentriert auseinandersetzen muss, das könnte aber auch damit zu tun haben, dass
innerhalb der Gruppe eine bestimmte Schwingung entsteht, die nicht mit meiner eigenen
übereinstimmt. Unter Schwingung verstehe ich hier eine Athmosphäre, die sich wie eine
Dunstglocke über eine Gruppe von Menschen ausbreitet, so etwas ähnliches wie Geruch,
Temperatur, Luftfeuchtigkeit. Diese Athmosphäre beeinflusst jeden, ob er will oder nicht. Man
kann sich ja auch nicht dagegen wehren, dass man zu schwitzen beginnt, wenn es mehr als
35 Grad in einem Raum hat.
Ich werde noch konkreter: Bestimmt habt ihr auch schon erlebt, dass ein und derselbe Witz in
manchen Gruppen der absolute Hit ist, während er in anderen Gruppen bestenfalls ein müdes
Lächeln hervorruft. Man sollte ja glauben, dass es in jeder Gruppe Leute mit unterschied-
lichstem Humor gibt, sodass immer einige darunter sind, die laut losbrüllen und andere
immun gegen den Witz scheinen. Aber diese Annahme kann ich nicht bestätigen. Es verhält sich
vielmehr so, dass in einer Gruppe entweder alle lachen oder (abgesehen von sparsamem
Höflichkeitsgelächter) keiner. Der Witz ist nur ein Verhaltensmerkmal von vielen, die ich in
Gruppen beobachten konnte. Ebenso verhält es sich in den Bereichen Umgangsformen, Intellekt,
politische Einstellung, Ernährungsgewohnheiten, Temperament, Sensibilität u.v.a.m. Es
entsteht nach relativ kurzer Zeit eine einheitliche Schwingung, an der sich alle Mitglieder
der Gruppe orientieren. Ich sage nicht, dass sich jeder dieser Schwingung unterordnet, aber
dennoch spürt jeder, dass da etwas ist, das einen einlädt, eine Tür, die so weit offensteht,
dass man ungeniert in den dahinterliegenden Raum späht, oder so wie ein Tortenbüfett, das
einem schon beim ersten Blick das Versprechen entlockt, nach dem Essen darauf zurückzukommen.
Man nimmt sich ein Stück Torte, obwohl man aus Erfahrung weiß, dass einem davon schlecht
wird, aber es so einfach, sie sich auf einem Teller servieren zu lassen, und außerdem
verträgt man die Torte viel besser als zuhause.
Wenn ich mich in einer Menschenansammlung befinde, könnte es geschehen, dass ich mich ihrer
Schwingung anpasse und nicht mehr der Mensch bin, der ich beschlossen habe zu sein. Ich
könnte nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass ich nicht als Folge davon Aussagen treffe,
die ich außerhalb der Gruppe niemals von mir gegeben hätte, oder mich so verhalte, dass ich
mich später dafür schämen muss. Daher fühle ich mich in der Stille wohler. Hier kann ich ganz
ich sein. Hier kann ich in der Tiefe meiner Seele lesen und herausfinden, wer ich bin. Hier
bin ich ganz in meiner Schwingung, im Einklang mit meinem wahren Ich.
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